Jurij Andrejewitsch Treguboff (Tregubov) ( * 4. April 1913 in Sankt Petersburg; † 27. Februar 2000 in Frankfurt am Main) war ein russischer Schriftsteller. Treguboff wurde als Autor einer Reihe historischer Romane bekannt, die die russische Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie die Auswirkungen der geschichtlichen Entwicklung auf die unterschiedlichsten Bereiche des Lebens in Deutschland reflektieren.
Jurij Andrejewitsch Treguboff wurde als einziges Kind des Gutsbesitzers Andrej Alexejewitsch Treguboff (1869–1935) und seiner Gattin Sophia Maximilianowna von der Osten-Sacken (1876–1954) geboren. Seine Kindheit verbrachte Tregubow in Laptino, dem Landsitz seiner Eltern im Gouvernement Wladimir, bis dieses infolge der Ereignisse der Revolution von 1917 von den Bolschewiki enteignet wurde. In der Folge lebte die Familie zunächst in Sudogda, später in Wladimir und ab 1919 in Moskau. Die Ereignisse dieser Zeit reflektierte Treguboff später in den Romanen Wladimirschina, Der Vampir und Beginn eines Erdbebens.
1926 siedelte Treguboff zusammen mit seiner Mutter – dem Vater wurde die Ausreise aus Russland verweigert – von Moskau nach Berlin über, wo er ein deutsch-russisches Gymnasium besuchte. Eine ursprünglich geplante spätere Rückkehr nach Russland kam schließlich aufgrund der dortigen politisch-sozialen Entwicklungen nicht mehr zustande. Nach dem Schulabbruch nach der Mittleren Reife kam Treguboff schließlich als Arbeitskraft in einer chemischen Fabrik unter, in der er als Seifensieder mit der Herstellung von flüssiger Seife befasst war. Später folgten Betätigungen als Dolmetscher und Privatlehrer.
Zur selben Zeit bemühte Treguboff sich darum, Anschluss an exilrussische Kreise zu gewinnen. Außerdem begann er seine lebenslang andauernde, intensive intellektuelle Auseinandersetzung mit den Ereignissen der beiden Revolutionen von 1917. Das Zusammenkommen dieser beiden Tendenzen gipfelte schließlich 1934 in dem Eintritt in den „Nationalen Bund der Schaffenden der neuen Generation“, einer gegen die stalinistische Terrorherrschaft gerichteten Widerstandsgruppe, die später in Narodno-Trudowoi Sojus (NTS) umbenannt wurde.
Nach dem deutschen Einmarsch in der Sowjetunion 1941 proklamierte der NTS die Notwendigkeit eines „Dritten Weges“ abseits von „kommunistischer Diktatur“ und „deutscher Besatzung“. 1944 wurde er aufgrund des deutschen Nachnamens seiner Mutter von den deutschen Behörden zum deutschen Staatsbürger erklärt. Um der Einberufung zum Dienst in den deutschen Streitkräften zu entgehen, schloss er sich schließlich der aus Exilrussen und Kriegsgefangenen formierten sogenannten Russischen Befreiungsarmee des Generals Wlassow an, in der er als Dolmetscher in der Kanzlei von Wlassows Stabschef Generalmajor Fjodor Iwanowitsch Truchin (1896–1946) Beschäftigung fand.
Das Kriegsende erlebte Treguboff in der Tschechoslowakei. Der drohenden Hinrichtung durch tschechische Partisanen und die in der Tschechoslowakei einmarschierende Rote Armee konnte Treguboff sich schließlich, nach kurzer Gefangenschaft, in einem unbeobachteten Augenblick entziehen. Stattdessen kam er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde aber gemäß den Vereinbarungen der Alliierten mit dem neubegründeten tschechoslowakischen Staat, als auf dem Gebiet der Tschechoslowakei aufgegriffener deutscher Staatsbürger, an diesen ausgeliefert. Nach einer mehr als einjährigen Tätigkeit als Zwangsarbeiter in der tschechischen Landwirtschaft und in den Kohlengruben von Mährisch-Ostrau wurde Treguboff, der sich bei einem Grubenunglück eine Lähmung des rechten Armes zugezogen hatte, im September 1946 als Invalide nach West-Berlin abgeschoben.
Am 19. September 1947 wurde Jurij Treguboff von Agenten des MGB (sowjetisches Ministerium für Staatssicherheit) an der Grenze zwischen dem sowjetischen Sektor zu den westlichen Sektoren Berlins entführt, nach Moskau verbracht und nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft in der Lubjanka zum Tode verurteilt. Fünf Tage später wurde das Todesurteil durch 25 Jahre Zwangsarbeit ersetzt. Er wurde nach Workuta transportiert, das in der nordöstlichen Ecke des europäischen Russlands zwanzig Kilometer westlich des Uralgebirges auf der 69. Parallele liegt, 106 Kilometer nördlich des Polarkreises. Dort wurde hauptsächlich Kohle für die im eisfreien Hafen von Murmansk liegende sowjetische Flotte gefördert. Für diese Arbeit war er jedoch zu schwach, bei einer Größe von 1,82 m wog er bei seiner Ankunft nur noch 56 Kilo. Nach drei Jahren und zwei Monaten wurde er nach Mittelostrussland in die Autonome Mordwinenrepublik verlegt, von der er am 11. Oktober 1955 nach der Anerkennung der Sowjetunion durch die Bundesrepublik Deutschland infolge der Verhandlungen Konrad Adenauers mit Nikita Sergejewitsch Chruschtschow als deutscher Staatsangehöriger befreit wurde. Er zog nach Frankfurt am Main, wo unterdessen einige seiner früheren Berliner Freunde wohnten.
Vom Tag seiner Entführung an war es Jurij Treguboff verwehrt, für eigene Zwecke etwas niederschreiben zu können. Daher war er gezwungen, alles Wichtige im Gedächtnis zu bewahren, das er auf diese Weise so trainierte wie die Menschen vor der allgemeinen Alphabetisierung. Erst in den letzten Monaten seiner Haft, die er in einem Lager für Ausländer verbrachte, konnte er Papier und Stifte erhalten. Sein Lagerheft, das er mit in die Freiheit nahm, enthält Übersetzungen russischer Gedichte ins Deutsche, die er sein Leben lang überarbeitete, sowie deutscher Gedichte ins Russische. Hauptthema ist das Poem „Bojare Orscha“ von Michail Jurjewitsch Lermontow, das im Jahr 1992 zusammen mit dem später übersetzten Poem „Der Dämon“ veröffentlicht wurde.
Jeden Menschen in der ersten Sekunde einer Begegnung richtig einzuschätzen, ob Untersuchungsrichter, Wachmann oder Mitgefangener, war lebensnotwendig. So verstand er es, gut mit den Blatnojs genannten Kriminellen zurechtzukommen, indem er ihnen deutsche Märchen erzählte. Sie schätzten besonders Das kalte Herz von Wilhelm Hauff, weil in ihm der böse Holländer-Michel überlistet wurde, was ihnen aufgrund ihrer Erfahrungen mit der übermächtigen Staatsgewalt sehr gefiel. Die meisten von ihnen wären ohne die fürchterlichen Zustände nach Revolution und Bürgerkrieg – Verhaftung oder Tod der Eltern, Obdachlosigkeit, Hunger, Kälte, staatliche Kinderheime – niemals ins Kriminelle abgeglitten. Diese intensive Schulung seiner Menschenkenntnis war sicherlich eine Basis für die Vielfalt der später von ihm beschriebenen Charaktere.
Unmittelbar nach seiner Rückkehr begann Jurij Treguboff mit der Niederschrift seines Erlebnisberichts Acht Jahre in der Gewalt der Lubjanka, der 1957 auf russisch im Verlag Possev, Frankfurt am Main, als Fortsetzungsserie in der Zeitschrift Possev, die auch in die Sowjetunion geschmuggelt wurde, sowie als Buch veröffentlicht wurde. Im Jahr 1999 erschien die deutsche Fassung, eine zweite russische Auflage kam 2001 bei Possev, Moskau, heraus.
Er hat niemals bedauert, den Fehdehandschuh gegen den sowjetischen Terror aufgehoben zu haben. In seinem Lubjanka-Buch zitiert er mehrmals: „Ich bin zwar ein halbzertretener Wurm, aber ich bin im Recht!“ Von der Unmenschlichkeit des sowjetischen Systems zu wissen und nichts dagegen zu tun, wäre unerträglich für ihn gewesen.